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      Nr. 19/1999
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Help me, help me, help me

Es gibt wundervolle Computerspiele. Und eklige. Wie man die Kinder davon fernhält? Gar nicht  Von Susanne Mayer

eDie Stunde der Wahrheit kam spät, vermutlich war es schon nach zehn Uhr abends, als das Kind seine neuen Kangaroos vor sich auf dem Fußpolster plazierte. Schon Größe 38! Das Kind lehnte sich im Sessel zurück. Es warf einen Blick zum Sofa rüber und sagte: "Von wirklicher Gewalt hast du ja wahrscheinlich keine Ahnung, Mama."

Vorsichtiges Durchatmen. Eine Stunde der Wahrheit ist nicht leicht zu haben. Man muß zu zweit sein. Niemand darf anrufen, kleine Brüder sollten schlafen. Man braucht schon ein Wochenende, ideal ist ein Samstagabend. Was man gar nicht brauchen kann: ein falsches Wort. Die Mutter sagt etwas wie Schon-möglich-mein-Kleiner. Ihr Kleiner sagt: "Es gibt Dinge, die so eklig sind, da würdest du bestimmt kotzen, Mama."

Die Mutter denkt, daß sie keine Lust hat, solche Dinge jetzt auszubreiten. Das Kind sagt: "Der Arno (alle Namen von der Redaktion geändert) hat Computerspiele, da kann ich gar nicht hingucken. Die würde ich am liebsten auch nicht spielen. Aber ich muß dir sagen, daß ich sie spiele. Weil ich sonst ein Weichei wäre."

Oje. Erinnert sich noch einer an die Zeiten, als beim Babyturnen diskutiert wurde, wie pastellig aquarellierte Seidentücher über die Wiege zu drapieren waren? Das Sonnenlicht würde durchscheinen und freundliche Eindrücke auf die kleine Retina legen. Zehn Jahre später, und das Leben kommt ungefiltert.

Das Kind sagt: "Du mußt auf alles schießen, was sich bewegt, du mußt mindestens 50 töten, um zu überleben. Wenn man einen trifft, stöhnen die. Also stöhnen ist total untertrieben. Das Spiel heißt Die hard. Die fliegen durch die Gegend und schreien richtig: AAAAHHHOHH! Man kann die Bluteffekte einstellen, und wenn man sie hoch einstellt, spritzt das Blut wie nichts aus ihnen raus."

Das Kind sagt: "Wenn du ein Auto triffst, explodiert es, und dann stehen plötzlich brennende Menschen auf der Straße und kreischen: ,Help me, help me, help me!'"

"Es gibt eine Szene, da kniet ein Mann vor einer Wand, und auf der Wand ist eine etwa 30 Zentimeter breite gebogene Leiste, die nach unten führt. Man schießt dann auf ihn, und dann ist die ganze Leiste voller Blut."

Es gebe ein Spiel, sagt das Kind, da rase man mit einem Auto durch die Stadt, um eine Bombe zu entschärfen, die kurz darauf alles in die Luft jagt, und deshalb rase man so schnell, daß die Fußgänger rechts und links erwischt würden und auf der Windschutzscheibe zerschellten. "Da rutscht blutiges Mus die Scheibe runter. Dann stellt sich der Scheibenwischer automatisch an, damit man weiterfahren kann."

Ach, noch was. "Wenn du einen Kinderwagen erwischst, kriegst du dafür Extrapunkte."

Hatte nicht alle Welt geraten, das Kind könne nicht früh genug in das Medium der Zukunft eingeführt werden? Das Kind hatte geschluchzt, es sei in Klasse 4 das einzige Kind ohne elektronisches Großgerät! Der Experte hatte zu einem PC geraten, weil für Spielkonsolen leider vor allem Ballerspiele auf dem Markt seien. Der Vater hatte rund 30 Mark für einen 400 Seiten fetten Softwareführer investiert und drei superspannende gewaltschwache Scheiben für die Weihnachtsgeschenke von Omi, Opa und später für das Geburtstagsgeschenk von Tante Inge ausgesucht. Die Spielzeit war mit dem Kind diskutiert und auf vier Stunden in der Woche und täglich höchstens eine Stunde beschränkt worden. Die Mutter versuchte, ruhig zu wirken und auf ihre innere Stimme zu hören. Was sie da hörte, war ein wilder Schrei nach Zensur.

Gesetze gegen Gewalt gibt es doch, oder?

Gesetz zur Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte, gab es, oder nicht? "Vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhaß anreizende sowie den Krieg verherrlichende Schriften" sind in eine Liste aufzunehmen. Was auf der Liste steht, darf nicht "an einem Ort, der Kindern oder Jugendlichen zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, ausgestellt, überlassen oder sonst zugänglich gemacht werden". Na?! Wieso sieht mein Kind dann so einen Dreck?!

Das Kind sagt, die Spiele seien so brutal, daß sie in Deutschland natürlich verboten seien. Die habe Arnos Papa, der ganz groß im Computergeschäft sei, in Spanien eingekauft und über die Grenze geschmuggelt. Oder aus Frankreich. "Bei dem einen Spiel, James Bond Golden Eye, da ziehst du die Köpfe größer, damit du besser reinballern kannst."

Von Papa geschmuggelt. Von Marius kopiert. Über Maxi ausgeliehen. Aus dem Internet runtergeladen. Rührend der Vorschlag, den die Jugendschutzreferenten neulich vorbrachten, Computerspiele sollten, wie Spielfilme, einem generellen Verbot unterliegen, bis zur Freigabe. Ab 12. Ab 16. Na prima, schon heute gelten die Sticker des Industrieverbandes Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) als Scharfmacher für die Kleinen. "Nicht geeignet unter 18", boa!

"Ich würde mal sagen, es ist ähnlich wie bei der Mafia", erklärt das Kind. "In so einer Klasse ist immer einer, der den Ton angibt. Bei uns ist das Arno. Wenn Arno sagt, das ist ein tolles Spiel, da hat er die Leute niedergemetzelt, dann sind die blöd, die das nicht toll finden."

Die Geschichte zu Ende zu erzählen ist gar nicht so einfach. Die Mutter jedenfalls sagt, sie habe sich natürlich an den Rat der Pädagogen gehalten. Die hätten so wertvolle Tips!

Der erste: "Urteilen Sie nie über etwas, was Sie nicht kennen. Spielen Sie ruhig mal mit Ihren Kindern, was die so spannend finden!" Das, sagt die Mutter, sei noch eine einfache Übung gewesen. Gibt's ja überall, das Zeug.

Mutti also vor der Kiste. Herzschlag beschleunigt. Ihre Augen, sagt sie, hätten sich sofort in ein Zielfernrohr verwandelt. So segelten sie über eine Szenerie, die leider ein wenig an die Bilder aus Littleton, Colorado, erinnere. Moderne Architektur, davor junge Mädchen in erbsengrünen Pullöverchen und grauen Hosen. Und plötzlich: Schüsse! Der Feind, links vorne! Rechts, ein zweiter!

Abdrücken, abfeuern, feuern! Nach rechts, rechts, rechts, blöde Tastatur, und: "Nachladen!" ruft das Kind. "Nachladen, Mama!" Explosion vorne links. Das Girlie schreit: "Not me! Not me!" Zu spät, Süße. "Aber Mama!" sagt das Kind.

Mama registriert im Augenwinkel, daß es Girlie-Reste gibt, die am Boden, in einer roten Lache, liegen. Aber da sei dann plötzlich ein großes, helles Licht gewesen. Game over. Verdammter Mist!

Sie habe sich auch, wie empfohlen, mit den Freunden des Kindes unterhalten. Paul habe gesagt: "Es macht einfach Spaß. Es ist eine witzige Sache, Fähigkeiten zu haben, die man im wirklichen Leben nicht hat, zu fliegen zum Beispiel. In echt ist vieles gar nicht so gut. Deshalb spiele ich lieber solche Spiele, als daß ich das in echt mache." Jan habe gesagt: "Einige der Geschichten sind zu irrwitzig. Man fährt vor der Polizei davon, und je schneller man fährt, um so mehr Strafzettel bekommt man. Das soll ein Ziel sein! Also ich mag lieber ein Spiel über den Aufbau von Rom, das ist logischer."

Die Mutter sagt, sie habe natürlich auch mit Arnos Mutter das Gespräch gesucht. Die sei gleich sauer geworden: "Indizierte Computerspiele? Bei uns? Daß ich nicht lache!"

Dann habe sie ihr gesagt, die Kinder würden aber davon reden, und es sei doch unverantwortlich, und Arnos Mutter habe gesagt: "Wenn Sie nicht wollen, daß Ihr Sohn so was spielt, schicken Sie ihn nicht zu uns." Okay! habe sie gesagt. Ein Wort gab das andere, jedenfalls dürfen sich die beiden Kinder jetzt nicht mehr besuchen. Game over, auch auf diesem Level.

Das letzte Wort hat, wie immer, das Kind. Das Kind sagt: "Warum Mütter auch immer gleich so aggressiv sein müssen!"


© beim Autor/DIE ZEIT 1999 Nr. 19
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